Rinder

Siegerländer Kultur- und Naturlandschaften

Das Siegerland liegt im Süden des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Geologisch gehört das Siegerland überwiegend zum Rheinischen Schiefergebirge, das Projektgebiet am Südrand auch zum Westerwald. Der Name „Siegerland“ geht auf den Fluß Sieg zurück, einen Nebenfluß des Rheins.

Das Siegerland ist geprägt durch ein eher rauhes Klima mit viel Niederschlag. Deutschland in der Westwindzone liegt und da das Siegerland an der Luvseite des von der Kölner Bucht im Westen bis zum Rothaargebirge im Osten stetig ansteigenden Süderberglandes liegt, kommt es dort oft zu Steigungsregen mit erheblichen Niederschlagsmengen.

Die ungünstigen Wetterbedingungen und die geologischen Gegebenheiten haben dazu geführt, dass sich im Siegerland eine besondere Kultur- und Naturlandschaft entwickelt hat. Erfahren Sie hier mehr über die Geschichte des Siegerlandes und wie diese die Landschaft bis heute geprägt hat.

Geschichtliches

Das Siegerland kann auf eine lange Besiedlungsgeschichte zurückblicken. Neuere Forschungen ergaben, dass schon in der Jungsteinzeit Menschen die Region zumindest zeitweise besuchten, wenn auch nicht dauerhaft seßhaft wurden. Denn hier gab es Eisenerz zu finden und genügend Holz, um es zu verhütten. Der Holzverbrauch in den damaligen Schmelzöfen muss immens gewesen sein, und vermutlich sind die ursprünglichen Buchenwälder des Siegerlandes zur Gänze durch die Kohlenmeiler und in die Öfen gewandert.

Der Wald in der Umgebung der Meilerplätze wurde vermutlich immer wieder geschlagen. Da durch die kurzen Umtriebszeiten die Buchen sich nicht mehr ausreichend reproduzieren konnten, verschob sich das Baumspektrum in Richtung Birken und Eichen, zumal diese sich durch Stockausschläge besser verjüngen können als Buchen. Pollenanalytische Untersuchungen stützen diese Annahme. Holzanalysen von Holzkohlefunden deuten darauf hin, dass überwiegend fünf- bis zwanzig Jahre alte Eichen- und Birkenstämme verkohlt wurden und dass schon vor 2.400 Jahren im Siegerland ein Niederwald existierte. Diese frühe Waldnutzung stellte sich sicher eher als Ausbeutung denn als nachhaltige Nutzung dar, zumal auch die Beweidung der kahlgeschlagenen Flächen mit Rindern und Ziegen eine Naturverjüngung verhindert haben dürfte. Vermutlich ist eine Siedlungslücke, die sich von ca. 200 bis ca. 1000 nach Chr. zeigt, auf die völlige Devastierung der Wälder zurückzuführen.

Erst im Verlauf der fränkischen Innenkolonisation ab dem 9. Jh. erfolgte eine planmäßige Besiedlung, auch vor dem Hintergrund der Eisengewinnung. Die gute Qualität des Siegerländer Eisens, der große Bedarf an Eisen und die Verbesserung der Schmelzöfen haben die Eisenverhüttung immer weiter expandieren lassen, was im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu Holznot führte. Die Berghänge müssen auch zu dieser Zeit wieder großflächig entwaldet gewesen sein. Mit der Nutzung der Wasserkraft entstanden ab dem 13. Jh. mit der Anlage von Hütten- und Hammerwerken in den größeren Tälern schon Industriesiedlungen, die sich im Laufe der Zeit immer mehr ausdehnten, wie z.B. im Hüttental in Siegen. Übrigens besaß das kleine Siegerland gegen Ende des 18. Jh. eine blühende Eisenindustrie.

Um dem Raubbau am Wald Einhalt zu gebieten und die Versorgung mit Holzkohle für die Eisenverhüttung zu sichern, wurde 1562 die Wald- und Holzordnung erlassen, das erste grundlegende forstpolitische Gesetz für das Siegerland. Die Jahnordnung von 1718 regelte dann die Zusammenlegung aller privaten Hauberge. Es entstand für jede Gemeinde ein genossenschaftliches Gesamteigentum. Die Haubergsfläche wurde in 18 bis 22 Jahresschläge aufgeteilt, wovon jeweils der älteste in einem Jahr zu nutzen war. Somit wurde nicht mehr Holz geschlagen, als wieder nachwuchs. Jeder Haubergsgenosse hatte daran Idealanteile und bekam zur Bearbeitung seinen Idealanteil durch Los als Realanteil zugewiesen und konnte diesen nutzen.

Zwischen dem 1. März und dem 20. April wurden alle Bäume, außer den Eichen und einiger Überhälter, im Jahresschlag gefällt. Das Kleinholz band man zu Bürden zusammen, die dünnen Zweige zu Schanzen. Diese Kleinholzbündel dienten zum Anheizen der gemeinschaftlich genutzten Backhäuser. „Backes“ genannt, findet man diese heute noch in vielen Ortschaften des Siegerlandes. Nach dem Räumen des Haubergs ging man im Mai daran, die Rinde von den Eichen zu schälen. Die 3 bis 4 Meter langen Röhren blieben zum Trocknen an den Stämmen hängen, um später als Lohe in die Gerbereien gebracht zu werden. Die Eichenstangen dienten, wie auch die vorher geschlagenen Stämme, als Kohlholz zur Erzeugung von Holzkohle in den Kohlenmeilern.

Um die relativ geringe Anbaufläche für Getreide zu erweitern und da der Getreideanbau im Siegerland durch klimatische Ungunst und nährstoffarme Böden sowieso begrenzt war, nutzte man die kahlgeschlagenen Waldflächen im Nutzungsjahr als zusätzliche Anbaufläche für Buchweizen und Roggen (Haubergskorn). Zur Vorbereitung für die Einsaat hackte man die Rasensoden im Sommer los und legte sie umgedreht zum Trocknen hin. Dann konnte der Buchweizen ausgesät werden, der im September geerntet wurde. Die getrockneten Soden verbrannte man nach der Buchweizenernte, um die Asche als Dünger für die Roggenaussaat zu verteilen. Auf dem so vorbereiteten Boden säte man Winterroggen und pflügte ihn flachgründig mit einem räderlosen Hakenpflug unter. Alle verwendeten Geräte für die Bodenbearbeitung waren so konstruiert, dass die Wurzelstöcke der Bäume möglichst nicht verletzt werden konnten. Bei der Ernte im folgenden Jahr mußten dann die Stockausschläge geschont werden, weshalb man das Haubergskorn vorsichtig mit der Handsichel schnitt. Nach der Roggenernte begann eine sechs- bis siebenjährige Ruhephase für den betreffenden Jahresschlag. Danach durfte Weidevieh in den Hauberg getrieben werden. Die mit Halsglocken ausgestatteten Rinder (Rotes Höhenvieh) liefen als Herde frei und wurden von einem Hirten gehütet. Geht man von einer etwa 12-jährigen Weidenutzung pro Jahresschlag aus, standen ca. 2/3 der Haubergsfläche in den Sommermonaten für Waldweide zur Verfügung.

Die im Siegerland durch gesetzliche Vorgaben streng geregelte Kombination von Niederwald-, Feld- und Weidenutzung brachte die Bedürfnisse von Industrie und Landwirtschaft in Einklang. Der Wald wurde, wie andernorts, nicht vernichtet, sondern soweit möglich ausgedehnt. Allerdings wurden zugunsten vor allem der Eiche die anderen Baumarten zurückgedrängt.

Mit der Inbetriebnahme der Ruhr-Sieg-Eisenbahn im Jahr 1861 begann der Niedergang der bis dahin florierenden Haubergswirtschaft. Die Holzkohle aus dem Hauberg konnte mit der Steinkohle des Ruhrgebietes nicht konkurrieren. Günstigere, ausländische Gerbrinde und später die Entwicklung von synthetischen Gerbmitteln führte zu einem totalen Preisverfall der Eichen-Lohe aus dem Siegerland. Die wichtigsten Einkünfte der Haubergswirtschaft fielen somit weg und der Niederwald wurde mehr und mehr in Hochwald umgewandelt. Entweder man ließ die schlagreifen Jahresschläge weiterwachsen oder forstete die geschlagenen Flächen auf, oft mit Fichten. Die Anlage von großflächigen, gemeinschaftlich genutzten Weidekämpen ersetzte die Waldweide, die landwirtschaftliche Zwischennutzung wurde reduziert. Nach einer vorübergehenden Wiederbelebung der alten Haubergsnutzung nach dem 2. Weltkrieg dient die heutzutage durchgeführte Bewirtschaftung nur noch der Brennholzgewinnung. Mit dem Gemeinschaftswaldgesetz NRW von 1975 wurden alle gemeinschaftlichen Waldbesitzformen, darunter auch die Haubergsgenossenschaften, zu Waldgenossenschaften, für die einheitliche Regeln gelten.

Die Haubergswirtschaft wurde jahrhundertelang durch den Wiesenbau ergänzt. Für die Wiesen zur Heuwerbung standen nur die feuchten Talgründe zur Verfügung, denn Haubergsflächen durften nicht gerodet werden, um die Produktion von Holzkohle und Eichenlohe nicht zu gefährden. Wie vorher schon erwähnt, dienten Haubergsflächen im Sommer als Waldweide zur Versorgung des Viehs. Das Winterfutter mußten aber die Wiesen liefern. Um den Ertrag auf der begrenzten Fläche zu steigern, bediente man sich künstlicher Bewässerung.

Wasser war zu der Zeit kein freies Gut. An den Fließgewässern standen Hammer- und Hüttenwerke sowie Getreide-, Walk- und Lohmühlen, und die Nutzung des Wassers war schon im 15. Jh. reglementiert, um ausreichend Wasser für die Wiesenbewässerung zur Verfügung zu haben. Dies lag auch im Interesse der Eisenindustrie, benötigte sie doch größere Futtermengen für ihre zahlreichen Zugtiere. Die Bewirtschaftung der Rieselwiesen wurde durch Wiesenverbände geregelt.

Es gab zwei Vorgehensweisen beim Bau der Bewässerungssysteme. Bei Hanglagen führte ein oberhalb der Rieselwiesen gebauter Oberleitungsgraben Bachwasser zu. Dieses rieselte über die darunter liegenden Wiesen und floß in einem Auffanggraben dem Bach wieder zu. In den flachen Bachauen schuf man ein künstliches Gefälle. Der gesamte Bereich der Talsohle wurde dazu komplett umgestaltet, indem man dachartige Wiesenrücken angelegte. Eine solche Kunstwiese bestand aus mehreren schmallangen Rasenbeeten, mit einer Rieselrinne entlang der oberen Kante und Ableitungsgräben entlang der unteren Kante. Vom Bach zweigte an der höchsten Stelle des zu bewässernden Bereichs ein Zuleitungsgraben ab, der die Rieselrinnen beschickte. Die Verteilung des Wassers wurde mittels zahlreicher Schleusen und Wehre gesteuert. Vom November bis ins Frühjahr hinein bewässerte man die Rieselwiesen mit dem an Schwebstoffen reichen Bachwasser zu Düngezwecken, im Sommer zum Schutz vor Austrocknung. Der Heuertrag ließ sich dadurch um rund ein Drittel des Normalertrags steigern.

Zu Beginn des 19. Jh. waren die im Siegerland zur Verfügung stehenden 6.500 ha Wiesen fast vollständig in Rieselwiesen umgebaut worden. Die damals fortschrittliche Wiesenbaumethode hatte den Siegerländer Wiesenbau so berühmt gemacht, dass die Methode sich sogar über weite Teile Deutschlands verbreitete. Heutzutage sind nur noch Spuren des Wiesenbaus in manchen Wiesentälern zu finden.

Eisenindustrie – Haubergswirtschaft – Kunstwiesen: Nach den Anfängen der Eisengewinnung und -verarbeitung, die durch Ausbeutung und Lebensraumvernichtung gekennzeichnet war, griff nun Eins ins Andere wie beim Räderwerk einer Uhr. Die Siegerländer arbeiteten als Bergleute oder in der Verarbeitung des Erzes und waren gleichzeitig Nebenerwerber in der Landwirtschaft. Sie produzierten Brennholz und Holzkohle für die Verhüttung, Lohe zum Gerben für die Lederproduktion, die Geschirre für die Zugtiere, Schutzkleidung für die Arbeiter lieferte, bauten und bewirtschafteten die Rieselwiesen zur Heuwerbung. Gleichzeitig produzierten sie noch Lebensmittel u.a. in Form von Getreide, Milch und Fleisch. Rückblickend können wir den Einfallsreichtum und den Fleiß unserer Vorfahren nur bewundern.

Kulturlandschaften

Durch die kleinräumige, mosaikartige Nutzung und die kurzen Umtriebszeiten in der Geschichte des Siegerlandes entstand ein Nebeneinander verschiedenster Lebensräume. Je nach Entwicklungsstadium nach dem Kahlschlag fanden sich Lebensgemeinschaften der Feldflur, nachfolgend der Schlagflur, dem Busch-Heide- und Wald-Heide-Stadium und schließlich eines Eichen-Birkenwaldes. Durch die unterschiedlichen Sukzessionsstadien beherbergte der Hauberg eine vielfältigere Flora und Fauna als die meisten anderen Waldwirtschaftstypen, darunter auch viele seltene und gefährdete Arten. Das Haselhuhn profitierte in besonderer Weise davon.

Die lange geschichtliche Nutzung des Siegerlandes hat zum Entstehen einer einzigartigen Kulturlandschaft geführt, die auch heute noch das Bild des Siegerlandes bestimmt. Im Offenlandbereich gehören zu den typischen Kulturlandschaften Heidegebiete wie die Gambacher Heide in Burbach, Borstgrasrasen, die überwiegend durch Beweidung enstanden sind und heute einen prioritären FFH-Lebensraumtyp darstellen sowie zahlreiche bunt blühende Wiesen wie Glatthafer- und Bergmähwiesen, die sich durch eine hohe Anzahl an Pflanzenarten auszeichenen. Im Waldbereich sind die noch verbliebenden Niederwälder Zeugen der Haubergswirtschaft.